• Das Haus Breysig und seine Bewohner

Der Nuthe-Bote Februar 1992
Unabhängige Monatszeitschrift / Ortsverein Bergholz-Rehbrücke e.V.
Wie ein Klotz in der Landschaft


Das Haus Breysig und seine Bewohner (1)

Eine Landhauskolonie sollte Rehbrücke nach den Vorstellungen seiner Gründer, der Architekten Wilhelm und Martin Brinkmann, sein. Mit Häusern, die sich in ihren Abmessungen der Natur unterordnen, deren Gestaltungselemente - Terrassen, Balkone. Veranden, Erker die Veränderlichkeit der Natur zu den Tages- und Jahreszeiten miterleben lassen sollten.


Diesem Konzept ordnen sich die Musterhäuser, die Martin Brinkmann entworfen und in Rehbrücke errichten ließ, unter. Sie entsprachen durchaus der Entwicklungstendenz, die durch die Veröffentlichung von Architektenwettbewerben in den Sonderheften der Zeitschrift "Die Woche" um 1900 eingeleitet wurden und in den Holzhäusern der Firma Christoph & Unmack, Niesky, Oberlausitz eine Weiterentwicklung fanden.
Auch wenn viele Architekten an der Entstehung Rehbrückes beteiligt waren und der Geist der 20-er und 30-er Jahre sachlichere Formen wünschte, ist der Grundgedanke der Naturverbundenheit mehr oder weniger zum Ausdruck gebracht worden.
Ganz im Gegensatz dazu befindet sich ein Haus in der Eichenallee 4 (heute Mörikestraße).
Das hohe, würfelförmige Gebäude scheint völlig auf sich selbst bezogen zu sein. Die schmalen, hohen Fenster können den abweisenden Eindruck nicht mindern, der durch eine undurchdringliche Grundstücksbegrenzung eher noch unterstrichen wird.
Der Chronist des Jahres 1925 spricht von dem Landsitz des Prof. Dr. Breysig als einem störenden dunklen Klotz im Landschaftsbild, dessen Außenmauern uns so grau und feindlich entgegenstarren.
Was für vernichtende Worte, die sicher im Einvernehmen mit der Mehrheit der Bürgerschaft ihren Weg in diese Publikation gefunden haben und auch eine Haltung gegenüber dem Bauherrn offenbaren.
Der an der Königlichen Friedrich-Wilhelm-Universität zu Berlin lehrende Historiker und Geschichtsphilosoph Prof. Dr. phil. Kurt Breysig hatte 1911 Rehbrücke kennengelernt.
Auf Einladung des Juweliers Ernst Jessen war Breysig von Schmargendorf aus in die entstehende Landhauskolonie gekommen. Vom Baugerüst des jessenschen Hauses in der Eichenallee 2 genoß er der Blick auf die Ravensberge und das Dorf Bergholz mit Kirche und Mühle.
Der wohl schon lange gehegte Wunsch nach einem Haus auf dem Lande traf hier mit Voraussetzungen zusammen, die eine Entscheidung leicht machten. Die finanziellen Mittel standen Kurt Breysig mit dem Vermögen seiner Frau, Marie Rommel, der Tochter eines Rittergutpächters, mit der er seit 1895 verheiratet war, zur Verfügung.
Durch Protektion des Großherzogs von Hessen und bei Rhein, Ernst Ludwig, konnte sich auf der Mathildenhöhe in Darmstadt eine Künstlerkolonie entwickeln, die 1901 mit der Ausstellung "Ein Dokument deutscher Kunst" an die Öffentlichkeit trat. Besonderes Interesse beim Publikum fanden die Wohnhäuser der dort ansässigen Künstler, die in den folgenden Jahren vielfach und ausführlich besprochen wurden.
Über den Zusammenhang von Kunst und Leben am Beispiel des Hauses des Architekten,  Malers und Grafikers Peter Behrens veröffentlichte Kurt Breysig in verschiedenen Kunstzeitschriften ab 1902 seine Eindrücke und Gedanken. Mit völlig anderen künstlerischen Lösungen wurde Breysig durch das Schaffen und Gedankengut seines Vetters, des Architekten August Endell, bekannt. Mit dem Foto Atelier "Elvira" in München, Häusern am Steinplatz in Charlottenburg und Westend von Berlin sowie dem Wolzogen-Theater, Berlin, gilt Endell als einer der ideenreichsten Künstler des Jugendstils.
Für die Errichtung seines Hauses in Rehbrücke wählte Kurt Breysig den Architekten und Innenarchitekten Curt Stoeving.
Vermutlich kam Stoeving durch Vermittlung August Endells zu diesem Auftrag. Beide waren Mitglieder des Berliner Künstlerkreises "Werkring".
Hauptsächlich nach den Wünschen und Vorstellungen Kurt Breysigs konzipierte Stoeving das uns als "Graues Haus" bekannte Gebäude, welches in den Jahren 1913/14 errichtet wurde.
Das Verständnis für die äußere Gestalt stellt sich mit Betrachtung der Lage und Funktion der einzelnen Räume ein. Zentrum des Hauses bilden im Erdgeschoß eine achteckige Empfangshalle und der darüber gelegene, ebenfalls achteckige hohe Weiheraum.
AIle weiteren Räume waren in ihrer Höhe von den vorgenannten abhängig. Für die offiziellen Räume war diese Großzügigkeit zu akzeptieren. Die Wirtschafts- oder Nebenräume stellen mit herabgezogenen Decken bzw. Aufteilung in zwei Etagen unglückliche Lösungen dar. Kurt Breysig wünschte für das äußere Aussehen sachliche Formen und in sich abgeschlossene Ausgewogenheit der einzelnen Fronten. Bis auf das Dach, "Es sitzt auf dem Bau wie eine zu enge Mütze auf dem Kopf', befand er sich im Einverständnis mit dem Entstandenen. Über das Innere, dessen intensive Farbgestaltung auffällt, berichtet die vierte Frau Breysigs, Gertrud, in den 1967 im Lothar Stiehm Verlag, Heidelberg, edierten Erinnerungen.
Über das lichte Blau des Archivs, dem hellen Lila im Kontrast zu Dunkelblau der Bibliothek, den Schwarz- und Silbertönen des Empfangszimmers bis zum Dunkelgrün und Lila des Weiheraumes reicht die Farbpalette, und jede Farbkombination befindet sich im Einklang mit dem ästhetischen Empfinden seiner Bewohner.
Das Zentrum des Hauses Breysig, der Weiheraum, gab und gibt Anlaß zu unterschiedlichster Deutung.
Kurt Breysigs Haltung und Einstellung zum Leben kann als formell bezeichnet werden. Er liebte es, das Leben zu zelebrieren, Höhepunkte zu schaffen und zu gestalten. Dem Rahmen für diese Höhepunkte hatte er mit dem Weiheraum Gestalt gegeben.
Nach dem ersten Weltkrieg wurde das Haus Breysig, von seinen Bewohnern "Die Ucht" (das ist die Stunde der Frühmesse) genannt, Treffpunkt für Freunde der Familie und Generationen von Studierenden.
Oft gesehene Gäste waren der Nationalökonom Werner Sombard, der Chemiker Arthur Binz, wie Breysig Professor an der Universität  Berlin und der Pianist und Komponist Conrad Ansorge.
Freundschaftliche Verbindungen bestanden zu dem Dichter Stefan George (die Gespräche zwischen Breysig und George liegen in einer Dokumentation von 1960 vor), Elisabeth Förster-Nietzsche in Weimar, dem in Leipzig lehrenden Philosophen Hans Driesch. dem Physiker Waldemar Mitscherlich, Göttingen, dem Dichter Gerhart Hauptmann in Agnetendorf, aber auch zu den Einwohnern von Bergholz-Rehbrücke Paul Knake und Gustav Lange.

Siegfried Jahn

Der Nuthe-Bote März 1992
Unabhängige Monatszeitschrift / Ortsverein Bergholz-Rehbrücke e.V.
Ein langer Weg des Suchens und Erkennens
Das Haus Breysig und seine Bewohner (2)

Kurt Breysig starb am 16.6.1940 in Rehbrücke. Sein Leben umfaßte 74 Jahre, die durch das Kaiserreich, die Weimarer Republik und die Zeit des Nationalsozialismus geprägt wurde. Bald nach seiner Geburt am 5.7.1866 in Posen siedelte die Familie nach Erfurt über, wohin sein Vater, der Altphilologe Alfred Breysig an das dortige Gymnasium versetzt worden war. In Thüringen verbrachte Breysig die Kinder- und Jugendjahre, hierher kehrte er regelmäßig für einige Tage in den Ferien zurück.
Nach Absolvierung des Gymnasiums schrieb sich Kurt Breysig 1884 an der Königlichen Friedrich Wilhelm Universität zu Berlin ein.
Den Doktorgrad erlangte er 1889 mit einer Arbeit über die Zeit des Kurfürsten Friedrich III. von Brandenburg (seit 1701 König Friedrich I. in Preußen) – „Der Prozeß gegen Eberhard Danckelman“.
Eberhard Christian Balthasar Freiherr von Danckelman (1643 - 1722) war brandenburgischer Staatsmann und wurde der Unterschlagung kurfürstlicher Gelder bezichtigt. Eine Schuld konnte ihm nicht eindeutig nachgewiesen werden. Um ihn dennoch zu stürzen,  wurde er ab 1697 zu Gefängnishaft verurteilt. Zwölf Jahre verbrachte Danckelman unschuldig im Gefängnis, bis er 1709 begnadigt wurde. Seit 1713 bis zu seinem Tode fungierte er als Berater des Soldatenkönigs Friedrich Wilhelm I. in Preußen. Auch in den darauffolgenden Jahren widmete sich Kurt Breysig der preußischen Geschichte.
So veröffentlichte er ab 1894 in mehreren Bänden "Urkunden und Aktenstücke zur Geschichte der inneren Politik des Kurfürsten Friedrich Wilhelm von Brandenburg“ und "Zur
Geschichte der brandenburgischen Finanzen".
Ab 1892 lehrte Kurt Breysig als Privatdozent und wurde 1896 zum königlichen außerordentlichen Professor berufen. In dieser Zeit arbeitete er an einem seiner Hauptwerke, der "Kulturgeschichte der Neuzeit", deren drei Bände er 1900 und 1901 der Öffentlichkeit vorstellen konnte.
In kurzer Zeit erschienen dann zu Beginn des Jahrhunderts "Der Stufenbau und die Gesetze der Weltgeschichte", Die Entstehung des Gottesgedankens und des Heilbringers“, „Die Geschichte der Menschheit" und "Von Gegenwart und Zukunft  des deutschen Menschen“. Am 28.2.1823 wurde Kurt Breysig zum ordentlichen Professor mit der Anrede „Hochwohlgeboren" an der Philosophischen Fakultät mit dem Lehrauftrag Universalgeschichte und Gesellschaftslehre ernannt.  Ihm wird mit Wirkung vom 01.04.1923 ein Grundgehalt von monatlich 50.000,- RM bewilligt. Nach dem Sturz der Monarchie im November 1918 wurde auch Prof. Breysig, wie jeder Beamte, am 17.01.1920 auf die Verfassung  der Weimarer Republik und die Einhaltung ihrer Bestimmungen vereidigt. Ähnliche Festlegungen wurden von ihm 1935 und 1936 erwartet, obwohl bereits zu Ende September 1934 die Entbindung von den amtlichen Verpflichtungen erfolgte. So gibt Breysig keine Erklärung zur Mitgliedschaft im Beamtenverein, und die Aufforderung zu näheren Angaben über eine Mitgliedschaft in der NSDAP, die negativ ausfällt, versucht er mit einer Erklärung zu mindern.
In die Rehbrücker Jahre Kurt Breysigs fallen der 60. Geburtstag 1926 und das 50-jährige Doktorjubiläum.
Dr. Johanna Schultze, Dr. Fritz Klatt, Dr. Richard Peters und Friedrich Schilling, ehemalige Studenten Breysigs, überreichten zum 60.Geburtstag das Manuskript zu einer dreibändigen Festschrift, deren erster Band 1927 erschien. Während Friedrich Schilling im dritten Band der Festschrift für die Erarbeitung eines Werkverzeichnisses verantwortlich zeichnete und nach 1961 die Bearbeitung eines Nachweises der Literatur über Kurt Breysig vornehmen sollte, wird der Vertraute Breysigs, der Pädagoge Fritz Klatt, zusammen mit Gertrud Breysig testamentarisch zum Nachlaßverwalter des wissenschaftlichen Werks bestimmt. Darüber hinaus war Gertrud Breysig als alleinige Erbin eingesetzt worden. Eine Charakteristik der Persönlichkeit Kurt Breysig  fällt hinsichtlich sich widersprechender Aussagen schwer.
So spricht Nicolaus Sombart  von dem „Ästheten und Frauenfreund“, während sein Vater Werner, für den Breysig einer seiner wichtigsten Gesprächspartner war, feststellte, daß dieser ''alles im Leben falsch gemacht habe".
Auffällig ist auch, daß mehrere Jahre andauernde Freundschaften plötzlich abgebrochen wurden.
Rektor und Senat der Friedrich Wilhelm Universität bringen in ihrer Grußadresse zum 70. Geburtstag zum Ausdruck,  daß „die Berliner Universität Sie als tiefblickenden Geschichtserkenner und geistvollen Geschichtsdeuter mit Genugtuung zu den ihrigen zählen darf''.
Nur wenige Jahre später wird zur Formulierung einer Glückwunschadresse hinsichtlich des goldenen Doktorjubiläums, das auch die Erneuerung des Diploms für Breysig bringt, in einen internen Schreiben folgende Einschätzung gegeben: "... ich weiß auch nicht, ob er geistig noch so rege ist, den Ereignissen der Zeit zu folgen. In früheren Jahren war er politisch ebenso Eigenbrötler, wie er es wissenschaftlich gewesen ist. Deshalb hat auch unter den hiesiegen Historikern niemand rechte Fühlung mit  ihm gehabt“.

Mehr als das "Graue Haus“ erinnert uns die durch ihre antike Form Aufmerksamkeit erregende Grabstelle nach einen Entwurf von Käthe Kollwitz auf dem Friedhof in Bergholz an Kurt Breysig. Daß Kurt Breysig und Käthe Kollwitz sich persönlich gekannt haben, ist nicht überliefert. Frau Dr. Jutta Bohnke, die Tochter von Käthe Kollwitz,  vermutet einen Kontakt über Fritz Klatt, der mit Hans Kollwitz befreundet war. Möglicherweise gab Fritz Klatt die Anregung zu diesem Auftrag an Gertrud Breysig, die sich inzwischen Gertrud Sarah nennen mußte, und der dann auch im August 1940 gegenüber Käthe Kollwitz formuliert wurde. Durch den schlechten Gesundheitszustand von Frau Kollwitz zog sich die Besprechung der Entwürfe bis 1943 hin.
Das Relief stellt Kurt Breysig als Pilger dar, der nach einem langen Weg des Suchens und Erkennens auf einen Stab gestützt ausruht. Die vergeistigten Gesichtszüge weisen auf die wissenschaftliche Tätigkeit hin. 1942 hatte Käthe Kollwitz mit einem Gipsrelief, welches Aufstellung im Empfangszimmer fand, ihre Arbeit zum Abschluß gebracht.
Die Umsetzung in Stein hatte der in Berlin lebende Bildhauer Fritz Diederich übernommen.
Die Lebensumstände für Gertrud Breysig waren in 12. Jahr des Dritten Reiches bedrohlich geworden. Einer Anfrage von Käthe Kollwitz zur Aufnahme mit ihr befreundeter jüdischer Personen in das Rehbrücker Haus wird sie kaum entsprochen haben können.
Am 21.01.1944 erfolgte die „Abschiebung durch die Staatspolizei in das Ausland und die Einziehung ihres gesamten Vermögens zugunsten des deutschen Reiches". Zu letzterem gehörte auch das Haus in der Eichenallee 4, dessen Ausstattung verkauft wurde und das bis zum Ende des zweiten Weltkrieges die Einquartierung von "Volkssturmmännern, Polizisten und Soldaten" zu überstehen hatte.
Nach dem Krieg zog, als Gegenstück zur sowjetischen, die deutsche Administration in das „Graue Haus“. In den letzten Jahren beherbergte es die Bauinvestitionsgruppe der Abteilung Land- und Nahrungsgüterwirtschaft des Rates des Bezirkes Potsdam.
Hinter der hohnsprechenden Aussage offizieller Papiere über die Abschiebung in das Ausland verbergen sich für Gertrud Breysig entwürdigende Monate in Theresienstadt. lm Sommer 1945 mußte sie erfahren, daß die Sicherstellung des Nachlasses ihres Mannes nicht gelungen war.
Als Nachlaßverwalterin fühlte sie es als ihre Pflicht, nach dem Verbleib der Handschriften zu forschen. Ende der sechziger und Anfang der siebziger Jahre konnten dann mehrere Nachlaßveröffentlichungen erscheinen.
Ende 1940 war an der Friedrich Wilhelm Universität eine Anfrage eingegangen. Der Brockhaus-Verlag beabsichtigte die Aufnahme Breysigs und seines Werks im gleichnamigen Konversationslexikon. Dies wäre eine Spur gewesen, um auf Kurt Breysig aufmerksam zu werden. Andere sind in diesem Artikel erwähnt worden.
Sicher ist, daß die Geschichte des „Grauen Hauses“ und seiner Bewohner noch keinen abschließenden Punkt erhalten kann.

Siegfried Jahn

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Das Haus Breysig und seine Bewohner