• Monarchischer Glanz  Ein Beitrag zur Geschichte des Feierabendheimes für Blinde in Rehbrücke

Der Nuthe-Bote April 1992

Unabhängige Monatszeitschrift / Ortsverein Bergholz-Rehbrücke e.V.


Monarchischer Glanz


Ein Beitrag zur Geschichte des Feierabendheimes für Blinde in Rehbrücke


Das Jahr 1806- Frankreich befindet sich in der Periode des Ersten Kaiserreichs. Napoleon Bonaparte beherrscht Europa. Unter der Schirmherrschaft des Siegers der Schlacht bei Austerlitz gründen am 16. Juli 1806 sechzehn west- und süddeutsche Fürsten den Rheinbund. Ihr Austritt aus dem Reichsverband führt zur Auflösung des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation.

Franz Il. von Habsburg-Lothringen, der Repräsentant des Römisch- Deutschen Reiches, dankt am 6. August 1806 ab und führt fortan den Titel eines Kaisers von Österreich.

Im Schatten dieser umstürzlerischen Ereignisse folgt in Berlin König Friedrich Wilhelm lll. einer Anregung, die fast 100 Jahre später auch für die Landhauskolonie Rehbrücke Bedeutung erlangen sollte.

Während seiner Reise nach Petersburg war der Franzose Vallentin Hauy Anfang September 1806 am preußischen Königshof vorgestellt worden.

Hauy hatte in Paris eine Lehranstalt für Blinde ins Leben gerufen und durch seine Erläuterungen über Sinn, Struktur und Funktion das Interesse des Königs derart erregt, daß dieser am 11. September 1806 Johann August Zeune beauftragte, solch eine Lehranstalt in Berlin zu errichten.

Zeune (1778-1853), eigentlich Geograph, war 1802 von Wittenberg nach Berlin gekommen. Hier lehrte er zwischen 1803 und 1805 am Gymnasium zum Grauen Kloster. 1810 bestellte ihn Wilhelm von Humboldt als außerordentlichen Professor der Geographie an die noch junge Berliner Universität in Berlin, gründete er 1821 die Gesellschaft für Erdkunde. 1814 war bereits auf seine Anregung hin die Gesellschaft für deutsche Sprache eingerichtet worden.

Einen bleibenden und unbestreitbaren Verdienst hatte sich Johann August Zeune als Gründer der Königlich preußischen Blindenanstalt und als Blinden-Pädagoge geschaffen. Die am 13. Oktober 1806 zur Miete in der Gypsstraße auf Staatskosten eröffnete Anstalt mußte ihre Arbeitsräume bis 1812 mehrfach verlegen.

War in den ersten Jahren Zeune gezwungen durch seine persönlichen finanziellen Mittel den Erhalt und die Weiterführung der Blindenschule zu sichern, so übernahm ab 1809 wieder der Staat seine Verpflichtungen. Auch private Stiftungen bzw. Vermächtnisse sicherten die Existenz und Ausdehnung des Unternehmens, besonders, als der Gesamtnachlaß des Freiherrn von Rothenburg in Höhe von 88 000 Talern der Blindenanstalt zufiel. Ein erneuter Umzug aus den Räumen der Plamannschen Erziehungsanstalt in der Wilhelmstraße auf das Gelände Rothenburgstraße 14 in Berlin-Steglitz erfolgte 1877.

Dort befindet sich auch heute noch der Sitz der ältesten Blindenschule Deutschlands.

Der „Verein zur Beförderung der wirtschaftlichen Selbstständigkeit der Blinden“ ist eine Gründung des damaligen Direktors der Blindenschule Karl Wulff und geht auf das Jahr 1886 zurück. Die Satzung des Vereins sieht eine Korrespondenz mit der Blindenschule vor. So ist der jeweilige Direktor der Blindenschule gleichzeitig Geschäftsführer des Vereins. Die Ziele des Vereins berücksichtigen bereits 1886 im § 2, Absatz 3 der Satzung:

Daß, sobald die Vereinsmittel dies erlauben, ein Vereins-Zufluchts- und Feierabendhaus gegründet wird, in welchem Blinde, die durch Alter oder sonstige geistige und körperliche Schwächen in ihrer Arbeitsfähigkeit erheblich beeinträchtigt sind, Aufnahme finden sollen.“

Die Mittel zum Erwerb des erforderlichen Baulandes wurden durch mehrere größere Spenden zusammenbekommen, wobei der Beitrag einer Baronin von Maltzan, um die Jahrhundertwende Vorstandsdame im Blindenverein, die Verwirklichung des Vorhabens sehr unterstützte.

Sie ermöglichten dem Verein ein ca. 2 ha großes Gelände Saarmunder Chaussee Ecke Triftstraße in Rehbrücke zu kaufen.

In den Jahren 1908 und 1909 wurde dann nach Plänen des Baurats Walther Kern, Steglitz, das Feierabendheim errichtet.

Kern war Vorstandsmitglied im Blindenverein und damit prädestiniert, der Besonderheit eines Gebäudes zur Beherbergung blinder Menschen gerecht zu werden.

Den Forderungen nach getrennter Beherbergung der weiblichen und männlichen Heiminsassen, einem Trakt mit Gemeinschaftsräumen in direkter Verbindung zu den Wirtschaftsräumen kam Walther Kern mit einer T- förmigen Grundrißlösung nach. Über ein Souterrain, verkleidet mit Bruchsteinen, in dem sich Werkstätten und im rückwärtigen Teil die Heizungsanlage befanden, erhebt sich das, für Rehbrücke markante, zweistöckige Gebäude. Flankiert von einem Erker und einem Treppenturm, der als Glockenturm ausgebildet ist, befanden sich im Zentrum der Gesamtanlage die Gemeinschaftsräume.

Der Empfangshalle in der ersten Etage war eine breite Loggia vorgelagert, deren Öffnungen heute verglast sind, den darüber liegenden Räumen ein Balkon, der durch das vorgezogene Dach geschützt wird.

In den, nach Norden und Süden sich erstreckenden Seitenflügeln befanden sich die, hauptsächlich zur Einzelnutzung vorgesehenen Zimmer der Heiminsassen.

Ein bis in Höhe der Fenster des ersten Stockwerks reichendes Spalier, an dem sich einst Weinreben rankten, dessen letzte Vertreter noch bis ca. 1980 zu finden waren, gereichte dem Bau zur Zierde, stellte aber auch die Verbindung zur umliegenden Natur dar.

Die parkartige Gartenanlage, hauptsächlich aus Rasenflächen, dem vom Bau unberührt gelassenen Kiefernbestand und einem Wegenetz bestehend, war zur Straße hin durch einfachen Staketenzaun abgegrenzt.


Monarchischer Glanz fiel auf die unbedeutende Landhauskolonie am Rande Berlins, als am 27. Mai 1810 im Beisein der Kronprinzessin Cecilie die Einweihung des Feierabendheimes für Blinde stattfand. Erst am Vortag von einem mehrtägigen Aufenthalt im Jagdschloß Klein-

Ellguth bei Oels in Schlesien nach Potsdam ins Marmorpalais zurückgekehrt, hatte die Kronprinzessin in Vertretung der Kaiserin dieser Feierstunde beigewohnt.

In Begleitung ihrer Hofdame Maria Gräfin Wedel und des Kammerherren von Behr war sie am späten Nachmittag des 27. Mai nach Rehbrücke gekommen. Vor dem mit Girlanden geschmückten Feierabendheim hatten sich die Vertreter des Vereins und der Blindenschule, der Landesregierung und der Gemeinde Bergholz-Rehbrücke (hier der Gemeindevorsteher Käthe) sowie des Verkehrsvereins Rehbrücke zur Begrüßung eingefunden.

In seiner Festrede erläuterte der Vorsitzende des Vereins zur Beförderung der wirtschaftlichen Selbstständigkeit der Blinden, Dr. Mager die erfolgreiche 24-jährige Tätigkeit des Vereins im Dienste blinder Menschen.

Für die musikalische Umrahmung der Feierstunde war der Blindenchor aus Steglitz angereist. Anschließend ließ sich die Kronprinzessin durch Dr. Mager das Gebäude und den Park zeigen und begrüßte während der Besichtigung die Heiminsassen. Nach etwa einstündigem Aufenthalt kehrte sie nach Potsdam zurück.

Das Feierabendheim und seine Insassen fanden schnell Aufnahme bei den Bewohnern der Landhauskolonie. So berichtet die Potsdamer Tageszeitung vom 21. Juli 1928, daß „ zu einer sehr beliebten Einrichtung die Veranstaltungen, die im großen Saale des Hausess von kunstausübenden Rehbrücker Einwohnern zum Wohle und zur Unterstützung der Blinden stattfinden.

Das Feierabendheim wurde bis 1946 vom Verein betrieben.

Der Befehl Nr. 168 der Sowjetischen Militäradministration vom 10. Juni 1946 zur Gründung eines Forschungsinstituts für Ernährung in Rehbrücke formulierte auch die Beschlagnahme des Feierabendheimes für diese Zwecke. Die Insassen des Feierabendheimes für Blinde wurden in dem Privathaus Am Luchgraben 28 untergebracht. Ein Pachtvertrag, der am 31.08.1946 eingegangen wurde, regelt für fünf Jahre das Verhältnis zwischen dem Verein und dem Institut für Ernährungsforschung. Am 31.07.1951 war der Pachtvertrag abgelaufen und ist nicht wieder erneuert worden.


Siegfried Jahn

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