• Rehbrücke und sein Ernährungsinstitut

Der Nuthe-Bote März 1992

Unabhängige Monatszeitschrift / Ortsverein Bergholz-Rehbrücke e.V.


Rehbrücke und sein Ernährungsinstitut


Die neuere Geschichte von Bergholz-Rehbrücke ist von der Geschichte des Ernährungsinstituts (und des Instituts für Getreideverarbeitung) nicht zu trennen.

Viele seiner Mitarbeiter stammten und stammen aus dem Ort und aus der näheren Umgebung, viele auswärts neugewonnene Mitarbeiter nahmen hier ihren Wohnsitz, prägten die soziale Struktur der Gemeinde. Als ein Zentrum der Lebensmittel- und Ernährungswissenschaft war der Name Rehbrücke in der ehemaligen DDR aber auch darüber hinaus wohlbekannt.


Zahlreich waren die nachbarlichen Dienste, die das Institut über die 46 Jahre seiner Existenz geleistet hat.

Die Klinik des Instituts unter Leitung von Prof. Dr. K. Vetter und anderen Ärzten hat vielen Anwohnern medizinische Hilfe gegeben.

Lehrausbildung, Kochausbildung, Rentnerbetreuung, Auftritte des Institutschores, Patenschaft für die Schule, Verkehrserziehung in der Schule, Mahlzeitenversorgung aus der lnstitutsküche für Rentner und Schulkinder, Mitwirkung in kommunalen Kommissionen und Organisationen, Mitarbeit in der Ernte und bei Straßenreparaturen, Einsätze der Institutsfeuerwehr, Schneeräumung, Sportlerbälle usw. und nicht zuletzt der Rehbrücker Institutsfasching stehen für die engen Beziehungen zwischen Gemeinde und Umgebung und dem Institut.

Gemäß den Vorstellungen seiner Gründungsväter C. A. Scheunert und K. Täufel hat das Institut von Anfang an miteinander eng verbundene Lebensmittel- und Ernährungsforschung betrieben. Am Ende waren 580 Mitarbeiter, darunter 170 mit Hochschulabschluß, beschäftigt.

Vertretene Disziplinen waren Lebensmittelchemie, Chemie, Biochomie, Biologie, Mikrobiologie, Mikroökologie, Physiologie, Toxikologie, Medizin, Soziologie, Verhaltensforschung, Ökonomie, Technologie, Physik. Mathematik, Informatik. Diese Disziplinen waren in verschiedenen Forschungseinheiten (Fachbereiche. Fachabteilungen, Querschnittsabteilungen, methodische Zentren) angesiedelt.

Das lnstitut hat in seiner Geschichte eine Reihe von Wandlungen erlebt, ohne indessen seine Grundkonzeption aufzugeben. Besonders gravierend war in den 70-er Jahren die politische Orientierung auf weitaus stärkere Bindung des Instituts an die Lebensmittelindustrie und auf Entwicklungsarbeiten sowie Arbeiten zur Importunabhängigkeit unter gleichzeitiger Reduzierung der Ernährungsforschung. Aber bereits Ende 1988 setzte in Anbetracht der unbefriedigenden Ernährungssituation in der DDR ein Umdenken ein: Das Institut erarbeitete ein nationales Ernährungsprogramm, das auf die Verbesserung des Ernährungsniveaus und der Gesundheitssituation hinzielte.

Wie in allen Industriestaaten war die Ernährungssituation geprägt durch Überernährung, durch den übermäßigen Verzehr von fettreichen tierischen Produkten, von Zucker, Salz und Alkohol und durch den Rückgang an pflanzlichen Produkten (besonders Brot, Kartoffeln, Gemüse) und damit bestimmten Nährstoffen. In der Gesundheitssituation schlug (und schlägt sich) diese Fehlernährung in der Häufigkeit von Fettleibigkeit, Herzkreislauferkrankungen, Diabetes, Krebs, Gicht, Steinleiden u. a. chronischen Zivilisationsleiden nieder.

Trotz vieler politischer und anderer Hemmnisse sind aus dem Institut beachtliche Ergebnisse hervorgegangen. Sie haben den guten Ruf des Instituts begründet und waren Voraussetzung dafür, daß es nun in neuer Form weiterbestehen wird.

Vor allem der in Europa einmalige Verbund so vieler verschiedener Wissenschaftsdisziplinen, das erfolgreiche Konzept der Einheit von Nahrung und Ernährung sowie die Fähigkeit unserer Arbeitsgruppen zur Durchführung von vielschichtigen Aufgaben in Ernährungs-, Lebensmittel- und Verhaltensforschung verliehen dem lnstitut nach wie vor eine wissenschaftliche Ausnahmestellung.

Sie lassen es für übergreifende Konzepte und interdisziplinäre Zusammenarbeit als besonders geeignet erscheinen. Zahlreiche nationale und internationale Beziehungen könnten es zum Bindeglied west-, mittel- und osteuropäischer Forschung werden lassen.

Nach der Wende stand vor vielen Forschungseinrichtungen der DDR die Frage nach ihrer weiteren Existenz: Würden sie „abgewickelt“, also aufgelöst oder teilweise in andere Strukturen eingegliedert werden oder könnten sie privatwirtschaftlich neue Ansätze finden, wer würde sie übernehmen und wie würden sie gegebenenfalls weiter existieren?

Die neue, zum 15.06.1990 berufene Übergangsleitung (Direktor Prof. Dr. H. Haenel, Stellvertreter Dr. H. J. Zunft und Dr. H. Anger, beratendes Mitglied, Prof. Dr. B. Gaßmann, Personalleiterin Heidi Rödel, Verwaltungsleiterin Helga Friedrich) hat sich gemeinsam mit dem Wissenschaftlichen Rat und dem Personalrat mit Nachdruck für die Erhaltung des Instituts und die Einbringung seiner Tradition eingesetzt. Die Mitarbeiter haben sich mit ihrem Institut identifiziert; sie haben entscheidenden Anteil an seinem Fortbestand.

Es muß mit dankbarer Würdigung festgestellt werden, daß in diesen komplizierten Prozessen sich das Institut der breiten verständnisvollen Unterstützung zahlreicher Gremien und Persönlichkeiten erfreuen durfte. Hervorzuheben ist die nachhaltige Unterstützung durch die Deutsche Gesellschaft für Ernährung.

Leitende Persönlichkeiten im Ministerium für Wissenschaft, Kultur und Bildung, im Ministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten des Landes Brandenburg, des Bundesministeriums für Forschung und Technologie, der Bundesministerien für Gesundheit und für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, des Bundesgesundheitsamtes haben sich ebenfalls für die wissenschaftliche Zukunft des lnstituts ausgesprochen.

Die Leitung des Instituts hat sich 3 Gremien gestellt, die eine durchaus engagierte positive Rolle gespielt haben. Es handelte sich erstens um ein vom Direktor des Instituts berufenes Kuratorium, das sich für den Fortbestand des Instituts frühzeitig ausgesprochen hat und wertvolle Hinweise für die Möglichkeiten und Grenzen der zukünftigen Entwicklung gab; zweitens eine vom Wissenschaftsrat der Bundesrepublik berufene Evaluierungskommission, welche die entscheidenden lmpulse für den Fortbestand, für Struktur und Aufgabenstellung gab.

Zum Ergebnis der Evaluierung äußerte sich der Vorsitzende des Wissenschaftsrates. Prof. Dr. D. Simon in einem Schreiben an den Direktor wie folgt: „Der Wissenschaftsrat unterstreicht die Bedeutung der interdisziplinären Zusammenarbeit Ihres Hauses in Kombination mit der klinischen Forschung und hebt die ausgezeichneten wissenschaftlichen Leistungen hervor. Er empfiehlt daher die Gründung eines Instituts mit dem Schwerpunkt Ernährung und Gesundheit."

Drittens hat ein vom Bundesministerium für Forschung und Technologie berufenes Gründungskomitee in einer Reihe von Schritten die Neugründung im Detail vorbereitet. Es steht unter Leitung von Prof. Dr. H. B. Stähelin, Basel, und vereint 8 hervorragende Experten der Ernährungs- und Lebensmittelwissenschaft sowie Vertreter verschiedener Ministerien. Sie gaben die entscheidenden Anstöße für die Empfehlung, das Institut als Stiftung des öffentlichen Rechts des Landes Brandenburg zu begründen, das als Institut der "Blauen Liste“ zugleich vom Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kultur des Landes Brandenburg und vom Bundesministerium für Forschung und Technologie getragen wird. Das Gründungskomitee wählte auch den anspruchsvollen Namen "Deutsches Institut für Ernährungsforschung“.

Das neue Institut verfügt über 120 Planstellen und kann (über Drittmittel finanziert) 240 Mitarbeiter beschäftigen. Aus der Differenz zu den ursprünglich 580 Mitarbeitern ergibt sich die zwar notwendige. aber doch mit viel persönlicher Belastung verbundene Reduzierung des Personalbestandes durch Vorruhestandsregelungen, durch die Verabschiedung von noch arbeitenden, aber schon im Rentenalter stehenden Mitarbeitern, durch Privatisierung, durch die Vermittlung von Weiterbildungsmaßnahmen und auswärtigen Arbeitsstellenangeboten. Der Anteil von in die Arbeitslosigkeit entlassenen Mitarbeitern ist zwar relativ gering, für die Betroffenen, die Jahre und Jahrzehnte hier tätig waren, dennoch eine bittere Erfahrung.

Einige Arbeitsgruppen wurden aus dem Institut ausgegliedert und sind von der Fraunhofer Gesellschaft übernommen worden bzw. bemühen sich um die Eingliederung in die Landesuniversität Brandenburg. Sie werden in den Gebäuden des Deutschen Instituts für Ernährungsforschung weiter verbleiben, eine weiterhin enge Zusammenarbeit mit ihnen wird angestrebt.

Zum 01.01.1992 wurde als wissenschaftlicher Direktor Dr. med. habil. Cr. A. Barth berufen, bislang Direktor des Instituts für Physiologie und Biochemie der Ernährung in der Bundesanstalt für Milchforschung und Professor an der Medizinischen Fakultät der Universität in Kiel.

Das Gründungskonzept des Deutschen Instituts für Ernährungsforschung sieht die Tätigkeit von 13 Abteilungen in 5 Forschungsschwerpunkten vor: Ernährungsphysiologie, Toxikologie, Mikroökologie, Epidemiologie/klinische Wirkungsforschung und Ernährungsverhalten.

Auch in der neuen Struktur wird eine leistungsfähige Lebensmittelchemie dazu beitragen, die traditionelle einheitliche Betrachtung von Nahrung und Ernährung aufrechtzuerhalten.

Damit endete am 31.12.1991 die langjährige Geschichte des alten Instituts und es erstand am 01.01.1992 das neue Institut. Damit gehören Jahrzehnte sozialistischer Gesellschaft der Vergangenheit an: Der Dirigismus einer Partei mit verkrusteten Leitungshierachien, die Bevormundung durch Inkompetenz, die mangelhafte Versorgung, eine törichte und aufwendige Geheimniskrämerei, eine Privilegierten-Personalpolitik, zum Ausdruck kommend in Begriffen wie Leitungskader, Nachwuchskader, Reisekader.

Dieser unfruchtbare Druck gehört der Vergangenheit an. Der Schwerpunkt liegt eindeutig und ausschließlich auf der wissenschaftlichen Leitung.

Möge das Institut unter seinem Direktor mit den neuen Möglichkeiten der Leistungsstimulierung und der Weltoffenheit im demokratischen Spannungsfeld, befreit von den Lasten der Vergangenheit, einen guten Platz in der deutschen und internationalen Wissenschaftslandschaft erringen.

H.H. (Haenel)


Zeittafel:


10.06.1946 Gründung als Institut für Ernährungs- und Verpflegungswissenschaften

Später beim Ministerium für Handel und Versorgung

Direktoren: Prof. Dr. W. Ziegelmeyer

Prof. Dr. K. Täufel

Prof. Dr. C.A. Scheunert

1948 Umsiedlung der ehemaligen Reichsanstalt für Vitaminforschung und

-prüfung aus Leipzig nach Rehbrücke und Übernahme durch das Ministerium für Gesundheitswesen

Direktor: Prof. Dr. C.A. Scheunert


1957 Vereinigung beider Institute zum Institut für Ernährung der Deutschen Akademie

Präsident: Prof. Dr. K. Lohmann

Direktoren: Prof. Dr. K. Täufel

Dr. H. Haenel

1969 Umbenennnng in Zentralinstitut für Ernährung der Akademie der Wissen- schaften der DDR

Direktoren: Prof. Dr. H. Haenel

Prof. Dr. H. Schmandke

Seit Juni 1990 nochmals H. Haenel

31.12.1991 Auflösung des Zentralinstituts für Ernährung

01.01.1992 Neugründung als Deutsches Institut für Ernährungsforschung,

Stiftung des öffentlichen Rechts des Landes Brandenburg

Direktor: Prof. Dr. Chr. A. Barth

+ Kommentar

Hinweis: HTML ist nicht verfügbar!

Rehbrücke und sein Ernährungsinstitut